MICHAEL RAMSAUER




   
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Christoph Tannert: Zwischen Illusion und Identifikation

Die Bilder seiner ersten Schaffensperiode wirkten, als habe sich einer die Hörner blutig gestoßen. Bild an Bild monologisierend, hineinsteigernd in antike Mythologie wird da eine Lebensform in Farbe gebacken, die aus dem Vollen schöpft: Bildlabyrinthe, kalorienreich, für Ausflüge ins Prächtige. Dann, um 2003, entwickelte sich aus szenischem Grummeln und geheimnisvoll raunenden Dunkelstimmungen eine nordische Verdichtungsorgie zwischen seinen Keilrahmen. Lodernde atmosphärische Schleier und massive Farbbrände heizen die Leinwände auf. Strukturelle Entwicklungen enden regelmäßig in glühender Üppigkeit. Michael Ramsauer feierte mit flammenden Ganymed-, Venus-, Andromeda-, Pan- und Galatea-Darstellungen, Landschaftsbildern, Paaren, Sitzenden, Badenden und Liegenden seinen Ruf als “entstilisierter Expressionist“ (Harry Lehmann). Als Essenz und in Zuspitzung dieser Auffassung entstehen Bilder, die im kontrastreichen Hell-Dunkel Figuren und abstrakte Kompositionen in Schwarz auf weißem Grund zeigen. Mit dem Spielbein probierte Ramsauer die Ausreizung der ästhetischen Fettlebe.

In seinen aktuellen Bildern zeigt er eine völlig andere Temperatur – mit überraschenden Nuancen und Einsichten. Ramsauer arbeitet partiell mit einem leicht lasierten Goldgrund und legt dabei eine neue Lässigkeit und malerische Entspannheit an den Tag. Damit geht einher, dass das Theatralische der Handlung reduziert und in der Schwebe gehalten wird.

Ramsauer lässt locker und führt den Pinsel eher luftig, was den Betrachter zum Komplizen seiner Strategie macht, die in einer souveränen Balance zwischen Identifikation und Desillusion steht. Der Goldgrund wirkt wie die Vorarbeit für etwas Altmeisterliches.

Ramsauer hat keine Berührungsängste, sich edler Beweggründe und Pathosgebärden zu entledigen. Da er auch das darstellende Element zugunsten chiffrenhafter Andeutung zurücknimmt, dadurch symbolische Ansprüche minimierend, vermeidet er es gleichzeitig, in ironischen Posen zu erstarren. Voller Heiterkeit, als ob eine Last von ihm abgefallen wäre, nutzt er den Goldgrund als Lockmittel und Show-Stopper zugleich und überzeugt mit raffinierten Effekten und kluger Lichtregie.
Als Reaktion auf eine Reise nach Seoul, entsteht eine Reihe von Bildern zum Thema „Urbane Realitäten“. Mit fliegenden Fischen und nächtlichen Desasteranmutungen wird man in einen dröhnenden Metropolendschungel gelockt. Wie nebenbei taucht eine von Neon-Blitzen erleuchtete Dönerbude auf, krault ein „Nachtschwimmer“ auf nassem Asphalt durch die Gemeinplätze. Farbe wird zum artifiziellen Treibmittel phantastischer Großstadterfahrung. Ramsauer beruft sich auf Leibhaftigkeit, auf samtene Titelmelodien in Farbe, sieht Schattenfiguren, „Straßenengel“ und taumelnde Hermeline. Er reduziert das Narrative. Intellektuelle Einflüsterungsbemühungen weichen der Dominanz farbstofflichen Bindegewebes. Zunehmend wichtiger wird die Frage nach dem Wie, die das Medium Malerei reflektiert.

Ramsauer versucht, von dem, was die Fotografie die Maler seit über 150 Jahren gelehrt hat, wegzukommen, um zeichenhaften Formulierungen, die das Einsickern von Chiffren zulassen, einen Weg zu bahnen. Er kommt nicht von der Linie her. Es ist der Modus des Wechsels von Licht und Schatten, der ihn elektrisiert. Um diesen Wesenskern seiner neuen Bilder breitet sich ein Panorama von Wohl und Wehe, Melancholie und Euphorie, Aggressivität und Verletzlichkeit aus.

Wenn Ramsauer nach dem Prinzip Stadt forscht, steht alles farbgesättigt vor Augen und muss nicht mehr erklärt werden. Hier setzt einer auf Farbe statt auf Zeigefinger ins Nichts.

Das Metropolitane fügt und lockert die Gesellschaft, vervielfältigt ihre Verknüpfungen und Abgrenzungen, beschleunigt den Kreislauf von Auflösung und Komprimierung. An diesem Prinzip scheiden sich die Geister. Dem Konservativen ist unwohl in einer Welt, in der nicht alles am Platz bleibt. Ramsauer dagegen malt Stadt als Möglichkeitsraum – auch ästhetisch.

Gekennzeichnet werden Ramsauers Stadtbilder u.a. durch Elemente, die ihr Recht auf Uneinheitlichkeit deutlich machen. Gerade das wirkt freilich anziehend. Da treffen kunsthistorische Rückgriffe auf Lichtschimmer, verformt in einem Wirbel von Tropfen. Malzeremonielle Gesten widersprechen der Herrschaft des dummen Vorurteils, heutige Malerei sei ölig altmodisch und von gestern. Im Gewand des Lästerlichen macht Ramsauer malerisch Licht – und natürlich Schatten als Dunkelabstufung verschiedener Grade.

Rasch wechselt Multiperspektivisches mit Kombinatorischem, was nicht verwundert, erklärt Michael Ramsauer doch selbst, dass er „das Arbeiten auf mehreren Ebenen“ brauche und sich „im Absurden bestens zurechtfinde“, um sein inneres Gleichgewicht herzustellen. Mehrschichtig sind diese Bilder, doppelbödig nicht.

Bei Ramsauer geht es, wie beim späten Corinth, zuallererst um Malerei. Es ist ein Ereignis, zu sehen, wie sich Bildexistenzen höchst anschaulich in Farbe verirren und jedes Bild sich als Begegnungsfläche für figürliche Neubestimmungen mit gleichermaßen gestischen, abstrakten und atmosphärischen Passagen etabliert. Das prozessuale Annähern an Form rangiert vor der dingfesten Ausformung. So wie Ramsauer improvisiert und assoziiert, so hinterfragt er sich und seine Bilder aber auch. Für ihn endet der Produktionsprozess erst, wenn ein Werk sich in der Öffentlichkeit im Dialog mit dem fragenden und ästhetischen wertenden Publikum befindet.