Achim Sommer zu den Bildern von Michael Ramsauer:
Malerische Blitze
In Anbetracht der Vitalität des Werkes von Michael Ramsauer erscheint der Ruf vom Ende, gar vom Verschwinden der Malerei unter der geballten Macht der neuen Medien einmal mehr ins Leere zu gehen. Das Potential an spontanem Behauptungswillen, das in diesem jungen Künstler steckt, motiviert sich nicht aus Positionsabgrenzungen innerhalb solcher Debatten, sondern entspringt vielmehr einer starken Begabung.
Bereits seit dem 14. Lebensjahr zeichnet er regelmäßig, und auch sein späteres Studium der Kunstgeschichte und der Klassischen Archäologie in Kiel (1991-1995) bestärkt Ramsauer eher in dem, was sich als notwendig und drängender erweist: sein Bestreben zu Malen. Obwohl dem 1996 begonnenen Malereistudium an der Hochschule der Künste in Bremen erste Ausstellungsbeteiligungen vorangehen, liegt in der folgenden Zeit der eigentliche Startpunkt einer intensiven Erkundung und Entfaltung seiner malerischen Möglichkeiten. Dabei lässt sich a prima vista wohl kein stärkerer Kontrast zwischen dem abstrakten Purismus und dem Konstruktiven der monochrom schwarzen Arbeiten seines Bremer Lehrers Jürgen Waller und der extremen Farbigkeit in pastos bewegtem Duktus des Schülers ausmachen. Diese Freiheit wurde in einer Disziplin, die man eben im landläufigen Sinne nicht (er-) lernen kann, zugelassen und was für die eigene Entwicklung noch wichtiger ist als Herausforderung angenommen. Auch Anfeindungen seiner Mitstudenten hinsichtlich des Beharrens auf einer obsolet gewordenen Maltechnik in traditionellen Bildkonzepten ließen Ramsauer unbekümmert. In einer kurzen Reihe von repräsentativen Porträts, die nebenbei aus Gefälligkeit und Broterwerb in Rom und Venedig 1997/98 entstehen, vergewissert sich der junge Maler, wie weit seine handwerkliche Könnerschaft auf der Skala der Darstellungsmittel in autodidaktischer Anstrengung zu einer Seite reicht. Diese von seiner Hand unvermuteten Bildnisse verblüffen durch ihren altmeisterlich getragenen Stil, bleiben allerdings bewusst Episode. Seine Bildsprache ist ansonsten durchdrungen vom Wissen um die formalen Möglichkeiten und Mittel wie sie der Expressionismus in seinen verschiedenen Ausprägungen entwickelte; von der Klassischen Moderne, über den Abstrakten Expressionismus nach 1945 insbesondere im Werk von Willem de Kooning, bis hin zur heftigen, ihrerseits wiederum aus dem deutschen Expressionismus schöpfenden Malerei der sogenannten Neuen Wilden der 1980er Jahre. Auch der übersteigerte Ausdruck kruder Deformationen der Figur bei Francis Bacon, das Eingeschlossensein der Bildgegenstände in löse Üppigkeit der Körper, wie wir sie von Peter Paul Rubens kennen, zeugen hiervon. So spricht Ramsauer denn auch bei solchen malerischen Allusionen von seinen »Comic-Figuren«. Der Grad an Intensität der eigenen, pastosen Farbschrift entreißt sie der Kunstgeschichte und bleibt zeitgenössisch. Gleichwohl erscheinen solche Brechungen elaboriertes Element im Spiel der Widersprüche, das Ramsauer durchaus schätzt. Sie entheben die Darstellung einervordergründigen Aktualität und versehen sie mit einem allgemeineren Anspruch. Die Lust zu Malen, das unmittelbare Erschließen neuer Bildideen, die sich aus Erlebtem und Gesehenem entwickeln und in emphatischer Vehemenz auf die Leinwand transponiert werden, bleiben jedoch vor jeder spekulativ intellektuellen Konzeption wichtigste und treibende Kraft seiner Kunst.
Der Maler lässt sich nicht von künstlerischen Dogmen einengen, außer von dem Anspruch leiten, dass die Kraft guter Malerei niemals zu hoch eingeschätzt werden kann: Ein Bild muss einfach (gut) „aussehen“. Im lockeren Ateliergespräch unter Gleichgesinnten ist diese lapidare Bemerkung ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal malerischer Qualität. Damit wird nicht nur die gelungene Komposition, die spannungsvolle Verschränkung der Bildebenen, sondern vor allem die malerisch belebte Oberfläche, der Grad an Intensität ihrer gelungenen Durcharbeitung angesprochen. Diese begegnet im Werk von Ramsauer in einer fulminanten Weise, die den Betrachter in den Bann schlägt. Die treffsichere Lockerheit ist allerdings nicht nur spontan gemeisterter Strichführung zu verdanken, sondern ist auch erkämpft, dem Bild in immer neuen, korrigierenden Setzungen abgerungen, so lange bis alles „sitzt“ und das heißt der eigenen Vorstellung am nahesten kommt. Auf diesem Wege, der dem Maler zuweilen am Rande etwas zufallen lässt oder Widerstände aufbaut, öffnet sich der Akt des Malens als Ausdrucksträger. In den Malspuren scheinen Ramsauers emotionale Beteiligung, seine begeisterte Suche, seine forsche Beherrschung, ja bisweilen Reflexe von spielerischer Überheblichkeit eingeschrieben zu sein, so als ob man sie im sehenden Nachvollzug nur ablesen bräuchte. Die temperamentvollen Setzungen verlieren sich aber keineswegs in völliger abstrakter Freiheit, sondern sind immer an eine figurative Bildidee gebunden. Oft stehen die von Ramsauer bevorzugten klassischen Gattungen der Malerei, wie Landschaft, Figur, Stilleben und Porträt im spannungsvollen Kontrast zu ihrer malerischen Realisation. Charakteristisch ist seine Vorliebe für einen Grundton, der das gesamte Bild beherrscht. »Ufer« zeigt ein kräftiges Rot, einzig begleitet von Gelb als lichtvolle Höhung, das den Landschaftsausschnitt wie im Sog einer visionären Feuersbrunst glühen läßt. Darin eingestellt deutet sich eine regungslos verharrende, weibliche Aktfigur, die durch in den Farbgrund gekratzte Umrisslinien summarisch bezeichnet ist, an. Diese Szenerie erscheint symbolhaft aufgeladen, die Einsamkeit und schutzlose Gefährdung unserer Existenz andeuten zu wollen. Im Verebben der schwungvollen Malgesten des rechten Bilddrittels verlieren sich deskriptive Momente und die Malerei verweist auf sich selbst.
Eine Reihe aktueller Arbeiten widmet sich verstärkt dem Thema der Badenden, in der das dominierende sprühende Rot mit Gelb und ein extrem gesteigerter, in einem wilden Stakkato den Bildraum aufwühlender informeller Malduktus zum Einsatz kommt. Darin sind die Figuren fast völlig absorbiert und vexierbildhaft verwoben, durch lineare Konturierung etwas stärker herausgelöst oder sie kontrastieren durch ihre Farbmodellierung. Sie bilden gegenständliche Fixpunkte, die erst die weitgehend abstrakt bewegte Bildstruktur als Landschaft definieren. Dabei mag ihre klassische Positur irritieren, so wie die damit zu assoziierende Idylle einer Badewiese den explodierend aggressiven Rottönen widerspricht.
Das immer wieder variierende Verhältnis von Figur und Grund demonstriert auch der »Läufer«, der im Farbgewoge versunken ist und zugleich beginnt,sich daraus zu erheben. Das verleiht ihm wie den badenden Akten in der Landschaft eine gegenständlich fragile, ephemere Erscheinung. Eine weitere Badeszene entwirft in der Erweiterung der Farbpalette durch Blau-Rot-Kontraste und der vermehrten Ver-wendung von Grün eine gegenständlich differenziertere, aber ebenso dramatisch bewegte, furiose Meereslandschaft, in dessen Mitte die Paraphrase einer Venusfigur von Tizian auftaucht.Die ohne Binnenformulierung nur durch manieristisch stilisierte Linien umrissene Gestalt suggeriert in dieser »Durchsichtigkeit« besonders wirksam den auf dem Rücken liegendenden »Schwimmer«. Der unruhige Farbauftrag, der nun dem Motiv gemäß in Blautönen schwelgt, beschreibt nicht nur die Bewegungen der Wasseroberfläche, sondern führt zugleich seine eigenwertige, sinnliche Präsenz vor, pointiert noch im Einbezug weniger freigelassener Partien der Leinwand.
Eine Werkreihe setzt sich in der ausschließlichen Verwendung der Nicht-Farbe Schwarz von der intensiven Buntkraft der tendenziell fast monochromatisch gestalteten Kompositionen ab und eröffnet eine weitere Facette in der wandlungsfähigen Malerei von Ramsauer. Hier demonstriert der Künstler extreme Reduktion, denn er formuliert nur bruchstückhafte, auseinanderstrebende Formfetzen, die pastos geronnen auf der weißen Leinwand zu schweben scheinen. Was zunächst ungegenständlich anmutet, animiert dann aber den Betrachter, menschliche Gestalten und Landschaftselemente zu entziffern und ergänzend hineinzusehen. Es bedarf einer präzisen Vorstellungskraft diese eigenwilligen Kompositionen im spannungsvollen Wechselspiel von spontaner Formsetzung und kalkulierter Auslassung zu steuern. Auch in der integralen Figuren-darstellung wie »SW-Mädchen« beschränkt sich Ramsauer konsequent auf Schwarz, wobei die pastose Oberfläche, die die Modellierung des Körpers übernimmt, von reliefhaften Inkrustationen, in denen sich das Licht unterschiedlich bricht,durchzogen und strukturiert wird. Die Wirkung ist faszinierend und verblüfft, denn die in sich gekehrte von den sanft schwingenden Konturen der herabhängenden Arme charakterisierte Aktfigur scheint sich im scharfen Kontrast zur Helligkeit der
Leinwand aus ihrem hermetischen, schattenhaften Dasein in körperhafter Suggestion zu lösen. Das offenbart den deutlichsten Bezug zu seinen Bronzeplastiken, die einen weiteren Bereich in Ramsauers Schaffen einnehmen.
Dass der Vierunddreißigjährige nicht nur spielerisch und gekonnt mit unterschiedlichen Stilmodi umzugehen weiß, die er seinem Temperament entsprechend in eine ganz eigene Synthese von unmittelbarer malerischerPräsenz überführt, sondern auch humorvolle Selbstdistanz üben kann, belegt die expressive Darstellung des Herakles nach vollbrachter erster seiner zwölf Arbeiten. Mit seiner mächtigen Keule, die er weniger ergriffen hat, denn als Attribut nonchalant an seinem Arm anlehnen lässt, präsentiert der Heros seine Beute, den nemeischen Löwen, den er wegen seines unverwundbaren Fells nur mit bloßen Händen erwürgen konnte. Michael Ramsauer präsentiert sich hier gleichsam mit einem Augenzwinkern selbstironisch in der Rolle des mythologischen Helden, der auf seinem weiteren Weg, alle kommenden, scheinbar unlösbaren Aufgaben meistern wird. Das Rüstzeug hierzu ist nach der Betrachtung des bislang Erreichten ohne weiteres vorhanden.
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