MICHAEL RAMSAUER




   
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Olaf Müller: Michael Ramsauer – Zur Archäologie des Malstroms*

„Wirklicher Realismus, materialistischer Realismus, beruht auf der Suche nach dem
Ausdruck von Formen, die ihrem Inhalt treu sind. Aber es gibt keinen Inhalt, der sich vom
menschlichen Interesse abhebt.“

Ansgar Jorn (dän. Maler / Künstlergruppe COBRA)

Den 1970 in Oldenburg geborenen Michael Ramsauer muss man zu jenen Künstlern
zählen, die schon in ausgesprochen jungen Jahren ihre Bestimmung erkannt und seither
konsequent verfolgt haben. Ramsauer studierte, bevor er 1995 das Studium der Malerei
an der Hochschule für Künste in Bremen aufnahm, in Kiel klassische Archäologie und
Kunstgeschichte, und schon in dieser Zeit tritt er mit ersten Arbeiten an die Öffentlichkeit.
Inzwischen zählt er auch international zu den viel beachteten Künstlern und kann auf
Ausstellungen in der ganzen Welt verweisen.

Eine erste Annäherung an die Bilder Ramsauers wird unweigerlich von der Anziehungskraft
begleitet sein, die seine malerische Kraft und die hoch energetische und expressive Verve
seiner Malerei ausüben. Nahe seiner Farbgebirge läuft man Gefahr, in den Malstrom der
Elemente, diesen gewaltigen und gewalttätigen Strudel hineingezogen zu werden. Dabei
scheint es zunächst sekundär, welchem Inhalt das jeweilige Bild verschrieben wurde.
Ramsauers Werk berührt ohnehin beinahe das gesamte Spektrum klassischer Themen.
Vom Stillleben bis zu den, von der griechischen Mythologie genährten, Prophezeiungen.
Er richtet mittels seines pastosen Farbauftrags reliefartige Welten auf, die sich dem
Betrachter anbieten, ihn locken wollen; Sirenengesang klingt an und warnt vor den Topi
existentieller Infragestellung.

Edgar A. Poe lässt einen der Orte äußerster Auseinandersetzung mit den Elementen in
seiner Erzählung „Im Wirbel des Malstroms“ den alten Mann so beschreiben:

„Dort findet sich das ungeheuerliche Bett der Wasser, das durch tausend widerstreitende
Kanäle gefurcht und vernarbt, plötzlich in einer rasenden Erschütterung explodiert, nach
Himmel und Hölle ruft, kocht, zischt, in unzähligen gigantischen Strudeln wirbelt; und
alles dreht sich, tönt und wendet sich rasend ostwärts, wie Wasser sich nirgendwo bösartiger
formierten, nie in furchtbarere Abgründe stürzten.“

Die Wasser strömen also ostwärts, dem Licht und dem Leben zu, und sind gerade deshalb
mit allen Gefahren wirklicher Realität befrachtet.

Tritt man dann von den Bildern Ramsauers zurück, wird man nach einiger Zeit der Sprache
gewahr werden, die der Erzähler intendiert hat, vorschlägt, die sich alle Spielarten irdischer
Verflechtungen verordnet hat. Mit der Akribie des Archäologen, der Präzision des Grafikers,
legt Ramsauer jene Spuren frei, die in den Tableaus zwar zuvor angelegt wurden, die nun
aber in und über seinen chaotischen Abgründen zum Vorschein kommen. Die Oberflächen
werden aufgebrochen, wo sie es noch nicht sind, Figuren und Sujets treten ans Licht, ragen
heraus, lagern sich auf und verweisen auf unsere metaphysische Dimension. Aus den auf
den ersten Blick möglicherweise abstrakt erscheinenden Bildkosmen breitet sich eine
Figuration aus, will sich Ramsauers Erzählung vollenden, indem sie den Blick des
Betrachters weitet und von der Erdschwere ablenkt.

Dabei gibt Ramsauer die Auseinandersetzung zwischen Abstraktion und Figuration, die
sich durch seine Arbeiten zieht, nie auf, führt er keine eindeutige Entscheidung herbei.
Vereinfacht gesagt, könnte man von einer Dipolarität sprechen, die ihre Balance in jedem
einzelnen Bild zu finden sucht, die sich aber dem Eigensinn eines jeden Bildes immer
aufs Neue unterwerfen muss. Seine Sprache umwebt glücklicherweise den kategorischen
Nukleus, den der Maler markieren und enthüllen will. Angesichts seines Werkumfangs
muss dieser Kommentar Ramsauers Kern betreffend allerdings im Fragmentarischen, in
der Unsicherheit und Vorsicht verbleiben, eines jedoch scheint evident, sein dramatische
Gestus, an den Betrachter und sich selbst gerichtet, verweist auf das ecce homo!, das alle
Kunst in letzter und jedweder Konsequenz umtreiben muss.

Denn über allen Gipfeln ist eben keine Ruh´, weder dort noch in den Unterwelten. So
meint man, „Die Badende“ nicht am Meer, sondern am Ufer des Styx zu orten, während
sie sich mit den humorlosen Wassern des Schicksals vereint. „Der Schwimmer“ hat sich
aus den Wellentälern erhoben und schwebt über allem. Befreites Lachen ist zu hören.

Berlin im August 2005

* Malstrom: Eine vor den äußeren Lofoten auftretende, besonders für kleine Schiffe, wirbelreiche, gefährliche
Strömung.